Interview mit Edgar Franke zur wohnortnahen Gesundheitsversorgung
Donnerstag, 26. Januar 2023, Fritzlar-Homberger Allgemeine
ZUKUNFT DER GESUNDHEITSVERSORGUNG
Auswirkung der Reformpläne – Wohnortnahe Versorgung soll bleiben
VON DAMAI D. DEWERT
Investitionsstau: Die ehemalige Klinik in Melsungen hat Asklepios geschlossen. Die Stadt hat Interesse an Grundstück und Gebäude bekundet. Foto: Damai D. Dewert
Gesundheitszentrum, Portalklinik oder doch ein Krankenhaus der Grund-und Regelversorgung: Wie sieht die Zukunft der Gesundheitsversorgung in Melsungen aus?
Melsungen – Beim Melsunger Krankenhaus tut sich was: Die Stadt hat sich bereit erklärt, sowohl den maroden Altbau samt Grundstück, das Parkdeck als auch das Grundstück für den geplanten Neubau zurückzukaufen. Das erklärte Melsungens Bürgermeister Markus Boucsein in einer Sondersitzung der Stadtverordneten zum Krankenhaus. Nachdem Asklepios die Melsunger Klinik zum Jahresende geschlossen hat, richteten sich die Abgeordneten mit einer Resolution an den Schwalm-Eder-Kreis und das Hessischen Sozialministerium. Doch wie sieht die Zukunft der Gesundheitsversorgung in Melsungen aus? Was angesichts der Klinikreform des Bundesgesundheitsministers beziehungsweise der Regierungskommission überhaupt realistisch ist, haben wir mit dem Gudensberger Dr. Edgar Franke, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, besprochen.
Ist unter den aktuellen Bedingungen der Betrieb eines Krankenhauses von bis zu 150 Betten wirtschaftlich möglich?
Nach Auffassung der Regierungskommission und des Gesundheitsministers Karl Lauterbach muss die Krankenhausversorgung immer aus Perspektive der Patienten gesehen werden. Deshalb steht der Betrieb kleiner Krankenhäuser nicht mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit, sondern die Qualität der Versorgung im Fokus unserer Reformbemühungen. Ein kleines Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung kann leider aufgrund geringerer Fallzahlen nicht in allen Leistungsbereichen hohe Qualitätsstandards erfüllen.
Aber wäre ein wirtschaftlicher Betrieb möglich?
In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Krankenhauslandschaft gewandelt. Von 2002 bis 2020 hat sich die Zahl der Krankenhäuser in Deutschland von ca. 2200 auf etwa 1900 reduziert. Das ist ein Minus von rund 300 Krankenhäusern. Dennoch gehört Deutschland weiterhin zu den Ländern mit der höchsten Anzahl an Krankenhausbetten je Einwohner. Aber ein solcher kalter Strukturwandel darf sich nicht fortsetzen. Aus diesem Grund arbeiten wir an einer grundlegenden Krankenhausreform.
Mit welchem Inhalt?
Aktuell werden die Vorschläge der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe geprüft und bearbeitet. Auf Basis dieser Vorschläge planen wir die Struktur der Krankenhausfinanzierung zu verändern und so die Fehlanreize der Fallpauschalen zu überwinden. Ganz ohne ökonomische Anreize kann die Krankenhausfinanzierung aber nicht funktionieren. Da das Geld immer begrenzt ist, kann nur durch den effizienten Einsatz die bestmögliche Versorgung für alle gewährleistet werden. Deshalb planen wir, das Fallpauschalensystem weiterzuentwickeln und um erlösunabhängige Vorhaltepauschalenzu ergänzen.
Es geht also nicht mehr nur um die Quantität der Patienten?
Wir wollen eine Krankenhausversorgung schaffen, die künftig weniger nachwirtschaftlichen als nach medizinischen Gesichtspunkten handelt. Es soll gerade den kleinen Kliniken ermöglicht werden, zu einer qualitativ hochwertigen Versorgung beizutragen. Diese werden nach den Kommissionsempfehlungen dem untersten Level zugeordnet und sollen flächendeckend eine wohnortnahe Versorgung garantieren.
Und wo bekommen sie ihr Geld her?
Die integriert ambulant/stationären Grundversorger auf der untersten Versorgungsstufe sollen vollständig ohne Fallpauschalen finanziert werden. Kleinere Krankenhäuser beziehungsweise Gesundheitszentren im ländlichenRaum werden davon profitieren, denn sie erhalten für ihren Versorgungsauftrag eine erlösunabhängige Finanzierung.
Was bedeutet das für ein mögliches Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung in Melsungen?
Selbstverständlich bleiben auch kleinere Krankenhäuser ein wichtiger Eckpfeiler einer qualitativ hochwertigen, wohnortnahen Versorgung. Nach Vorstellung der Regierungskommission sollen kleinere Krankenhäuser allerdings aus qualitativen Gründen ihr Leistungsspektrum anpassen. Nicht jedes Krankenhaus beziehungsweise Gesundheitszentrum kann jede Leistung in hoher Qualität anbieten. Deshalb müssen sich diese in Zukunft in Gesundheitsregionen organisieren und arbeitsteilig aufstellen. Es kommt nicht dar-auf an, welchen Namen man dem Kind gibt – ob Krankenhaus, Gesundheitszentrum oder integriert ambulant/stationärer Versorger. Es geht nicht um die Bezeichnung, sondern um die Qualität der Versorgung für die Menschen vor Ort.
Das klingt aber schon danach, dass Standorte aufgegeben werden müssen?
Es geht bei der geplanten Krankenhausreform nicht um Klinikschließungen. Es geht darum, aus Patientenperspektive Gesundheitsversorgung besser und effektiver zu organisieren. Vieles, was früher stationär behandelt wurde, kann heutzutage ambulant geschehen. Nehmen wir mich persönlich: Mein erster Kreuzbandriss in den 1980er-Jahren erforderte einen zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt. Mein letzter Kreuzbandriss beim Altherrenfußballwurde vollständig ambulant behandelt. Gerade die Pandemie hat auch nochmal in der breiten Öffentlichkeit das Bewusstsein für das Problem fehlenden Fachpersonals im Gesundheitsbereich geschärft. Bereits heute können viele Stationen nicht mehr betrieben werden, weil es an Pflegepersonal ebenso wie an ärztlichem Personal fehlt. Auch dies sind Gründe, die Grenze zwischen der stationären und der ambulanten Versorgung durchlässiger zu gestalten und unsere Kräfte zu bündeln.
Was entgegnen Sie auf den Vorwurf, sich als Staatssekretär und Lokalpolitiker nicht genügend für den Erhalt eingesetzt zu haben?
Als Parlamentarischer Staatssekretär bin ich für die allgemeinen gesetzlichen Rahmenbedingungen der Gesundheitsversorgung mitverantwortlich. Deshalb musste ich zu Beginn dieser Legislaturperiode mein Kreistagsmandat niederlegen. Es ist immer problematisch, gut gemeinte Ratschläge von der Seitenlinie zu geben. Für die Krankenhausplanung und -investitionen ist aber das Land Hessen zuständig. Schließlich hat ja auch der Ministerpräsident Bouffier am 4. Oktober 2018 – gut drei Wochen vor der Landtagswahl –öffentlichkeitswirksam die Grundsteinlegung in Melsungen vorgenommen. Er hat den Menschen suggeriert, dass dort ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung entstehen werde. Dabei hatte Asklepios nach meiner Kenntnis zu diesem Zeitpunkt schon ein Gutachten vom Land Hessen erstellen lassen, dass die Chirurgie in Melsungen nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben sei. Die Sicherstellung der Versorgung ist Aufgabe des Landes und Asklepios übertragen worden. Für die lokale Umsetzung sind zudem der Kreistag, die kommunalen Gremien der Stadt und – für den ambulanten Schnittstellenbereich – gegebenenfalls die Kassenärztliche Vereinigung verantwortlich.
Wie stehen Sie denn persönlich zur Schließung?
Unabhängig davon, mit welchem Amt ich betraut bin oder in welcher Funktion ich handele, bleibe ich stets, wer ich bin. Ein Nordhesse, der die Probleme des ländlichen Raumes von klein auf kennt. Ich weiß, wie wichtig die Krankenhäuser hier sind. Krankenhäuser sind nicht nur für das generelle Sicherheitsempfinden im Rahmen der Gesundheitsversorgung, sondern auch für die lokale Identität ein wichtiges Fundament. Gerade deshalb weiß ich, dass die Entscheidung von Asklepios ein großer Einschnitt für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Menschen in und um Melsungen ist. Ich bin froh, dass viele Beschäftigten in den umliegenden Krankenhäusern neue Aufgaben gefunden haben. Ich bedauere, dass Asklepios die Klinik nicht weiterbetreibt. Wichtig ist aber, dass am Standort Melsungen dauerhaft eine moderne Gesundheitsversorgung stattfindet, die den Bedürfnissen der Menschen entspricht.
Wie kann es g jetzt in Melsungen weitergehen?
Ich bin sicher, dass alle Verantwortlichen vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Asklepios den Standort in Melsungen aufgegeben hat, versuchen wer-en, eine gute, flächendeckende Gesundheitsversorgung für den Melsunger Raum aufrecht zu erhalten. Ich werde als Abgeordneter versuchen, meinen Beitrag dazu zu leisten.