Lesezeit: 3 min
Der Bundestag ringt um einen gesetzlichen Rahmen für Sterbehilfe. Es geht um die Frage, wie assistierter Suizid ermöglicht, aber Missbrauch ausgeschlossen werden kann – und ob man dafür das Strafrecht benötigt.
Die Debatte läuft schon beinahe eine Dreiviertelstunde, als Kirsten Kappert-Gonther ans Rednerpult des Bundestags tritt. Suizidalität sei häufig, sagt die grüne Abgeordnete, fast alle Menschen würden solche Gedanken in irgendeiner Phase des Lebens kennen. Aber suizidale Gedanken seien volatil, sie stünden im Kontext von Beziehungen und Lebensumständen.
Kappert-Gonther war vor ihrer Tätigkeit als Abgeordnete Fachärztin für Psychiatrie. Sie sagt: „Suizidalität ist meist nicht der Wunsch nach dem Tod, sondern der Wunsch nach einer Pause von einer als unerträglich empfundenen Lebenssituation.“ Das müsse man wissen, wenn man darüber spreche, Sterbehilfe zu ermöglichen. „Ich finde, es ist eine gesellschaftliche Dystopie, wenn wir sagen: Machen wir den Zugang zum assistierten Suizid leichter, statt andere Hilfen erreichbar zu machen.“
Es ist ein kompliziertes Thema, das der Bundestag an diesem Freitagmittag debattiert. Gesucht wird eine Antwort auf die Frage: Wie kann man assistierte Sterbehilfe ermöglichen und gleichzeitig Missbrauch ausschließen?
Der SPD-Abgeordnete Edgar Franke blickt völlig anders auf das Thema als die Grüne Kappert-Gonther. Er erzählt von seiner Frau und seiner Mutter, die beide schwer an Krebs erkrankten. Irgendwann habe sich abgezeichnet, dass der Kampf nicht zu gewinnen sei. In einer solchen Lage, sagt Franke, brauche es eine Regelung, die „zum Leben ermutigen will, aber anerkennt, dass sich Menschen auch für den Tod entscheiden dürfen“.
Mitte Mai hatte sich der Bundestag erstmals in einer Grundsatzdebatte mit dem Thema beschäftigt. Mittlerweile gibt es drei konkrete Vorschläge, die fraktionsübergreifend im Parlament erarbeitet wurden.
Der zurückhaltendste Entwurf kommt von einer Gruppe rund um die Abgeordneten Lars Castellucci (SPD) und Ansgar Heveling (CDU). Sie wollen die Förderung von Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe stellen, mit einer Ausnahme: Wenn zwei Fachärzte für Psychiatrie im Abstand von drei Monaten feststellen, dass volljährige Sterbewillige ihre Entscheidung frei und ohne Druck von außen treffen und außerdem eine Beratung absolviert haben – dann, nur dann, wäre Sterbehilfe straffrei.
Die verpflichtende Beratung sehen alle drei Vorschläge vor, bei der Frage, ob es für das neue Gesetz das Strafrecht braucht, gehen die Meinungen allerdings auseinander. Der Abgeordnete Patrick Schnieder von der CDU findet es wichtig: Andernfalls bestehe das Risiko, dass Selbsttötung „eine Normalisierung“ erfahre und ältere oder kranke Menschen entsprechenden Druck empfinden könnten.
Der dritte Vorschlag kommt von einer Gruppe rund um die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr und die Linke Petra Sitte: Das Gesetz solle klarstellen, dass Hilfe zur Selbsttötung straffrei möglich ist. Ärztinnen und Ärzte sollten Medikamente zum Suizid verschreiben dürfen, wenn sie „von einer gewissen Dauerhaftigkeit und inneren Festigkeit des Sterbewunsches“ ausgehen. Nach einer verpflichtenden Beratung müssten zudem mindestens zehn Tage vergangen sein. Helling-Plahr sagt: Man müsse Menschen „jede helfende Hand reichen“. Wenn sie sich aber dafür entscheiden würden, sterben zu wollen, dürfe man das nicht kriminalisieren.
Die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch hingegen sieht in der Sterbehilfe einen Widerspruch zu „den Fundamenten unseres christlich-abendländischen Menschenbildes“ und äußert Sorge, dass Suizide weitere Suizide nach sich ziehen könnten. Ähnlich argumentiert der FDP-Abgeordnete Pascal Kober: Im Schnitt seien durch den Suizid eines Menschen sechs nahe Angehörige betroffen, vielmehr „tief getroffen“.